Zu Eric Tills Bonhoeffer-Film »Die letzte Stufe«

Das Dokumentarische und das Fiktive. Einige Anmerkungen zu Eric Tills Bonhoeffer-Film »Die letzte Stufe«. Von Hans Werner Dannowski

Vorübung zum Luther-Film?

Fast wie eine Vorübung zu seinem Luther-Film aus dem Jahre 2003, der auch in Deutschland ein Millionenpublikum gefunden hat, erscheint einem heute der Bonhoeffer-Film von Eric Till »Die letzte Stufe« aus dem Jahr 2000. Und in der Tat ist der Erfolg der ursprünglich nur für das Fernsehen bestimmten Produktion über den evangelischen Pastor und Theologen und Widerstandskämpfer für den Briten und Anglikaner Eric Till die Initialzündung gewesen für seinen opulenten Historienfilm über den deutschen Reformator.

In den Interviews zum Luther-Film hat Till auch immer wieder die Brücke von Martin Luther zu Dietrich Bonhoeffer geschlagen. Seine Filme sollen nicht nur die Aufmerksamkeit wecken für die großen historischen Momente unserer Geschichte, hat er gemeint, sondern auch im Ansatz das Potential enthalten, die Probleme des Menschen in der Gegenwart und in der Zukunft zu bearbeiten.

Eine neue Sprache finden

Als Sabine Horst in einem Interview über den Luther-Film das Bonhoeffer-Wort zitiert, dass eines Tages die Religion "eine neue Sprache finden werde", vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend, da wirkt Till im Rückblick auf seinen Bonhoeffer-Film wie elektrisiert. "Darum geht es heute. Wenn man sich den Aufruhr in der christlichen Welt anschaut, vor allem in Nordamerika, dann könnte man sagen, Bonhoeffer würde dringend wieder gebraucht. Sie haben nicht zufällig seine Telefonnummer?" (epd Film 11/2003. S. 25).

Aber Filme über große historische Momente unserer Geschichte und über große historische Persönlichkeiten: Wie macht man das? Der Bonhoeffer-Film umgreift die Zeit von der Rückkehr Dietrich Bonhoeffers von seinem zweiten längeren Aufenthalt in Amerika bis zu seiner Hinrichtung. Also die Zeitspanne  vom Juni/Juli 1939 bis zum 9. April 1945.

Stationenweg

Als Stationen auf dem Weg durch die entscheidenden letzten sechs Jahre seines Lebens werden in dem Bonhoeffer-Film erkennbar: Der Entschluss der Rückkehr aus Amerika in das Nazi-Deutschland – das Predigerseminar Finkenwalde und seine Schließung – die Begegnung mit Maria von Wedemeyer – Bonhoeffer wird Mitarbeiter der Abwehr – die zentrale Rolle seines Schwagers Hans von Dohnanyi – das Unternehmen 7 – der gescheiterte Attentatsversuch von Gersdorff – die Verhaftung von Christel und Hans von Dohnanyi und von Dietrich Bonhoeffer – die Verhöre Bonhoeffers durch Oberkriegsgerichtsrat Roeder – die Begegnungen im Gefängnis mit seinem Bewacher, Unteroffizier Knobloch – Bombenangriffe im Gefängnis – der Fluchtplan – die Fahrt nach Flossenbürg – der letzte Gottesdienst – die Hinrichtung Bonhoeffers.

Eine solche Aufzählung erweckt den Eindruck, als handele es sich bei dem Bonhoeffer-Film von Eric Till im Grunde um einen Dokumentarfilm, der mit den Mitteln des Spielfilms ein Leben nacherzählt und nachgestaltet. Nun ist ja die Biographie und die Theologie Bonhoeffers so intensiv durchforscht und diskutiert, wie eigentlich bei keinem Anderen seiner Zeitgenossen. Auch die Drehbuchautoren des Films, Gareth Jones und Eric Till, haben natürlich ihren Eberhard Bethge und andere Quellen sehr genau gelesen.

Fiktive Freiheiten

Gerade deshalb fällt schon bei einer flüchtigen Analyse auf, dass der Bonhoeffer-Film von Eric Till von historischen Unrichtigkeiten nur so wimmelt. Worte Bonhoeffers werden, auf den ersten Blick fast willkürlich, in andere  Situationen versetzt. So  erscheinen  etwa  die  Briefpassagen aus dem Gefängnis über die neue, kraftvolle, nichtreligiöse Sprache des Glaubens als Predigtinhalt seiner letzten Andacht auf dem Transport nach Flossenbürg. Eine Andacht, die  nicht – wie im Film vorgegeben – in einer zerstörten, symbolträchtigen Kirche, sondern in einem Schulraum stattfand. Maria von Wedemeyer, seine spätere Verlobte, ist nicht die Konfirmandin Bonhoeffers gewesen, ihren Bruder hat er konfirmiert. Und die Begegnungen der Verlobten im Gefängnis sind sicher völlig anders abgelaufen.

Die größten fiktiven Freiheiten, die sich der Film im Nacherzählen der Biographie Bonhoeffers herausnimmt, ranken sich um die Person des Gerichtsrates Manfred Roeder. Roeder wird, unterstützt durch die äußere Gestalt und die Darstellungskunst eines Robert Joy, geradezu zu einem teuflischen Gegenspieler hochstilisiert, zu einem zweiten Joseph Goebbels.

Fast zwangsläufig wird ja in diese Versuchungsgeschichte als Klimax das ultimative Angebot Roeders, im Auftrag Himmlers, an Bonhoeffer optisch weit ausgespielt, als Auslandsspion in die Dienste der Nazis zu treten. Auch dieses Angebot hat es natürlich nie gegeben. Und vor der Hinrichtung Bonhoeffers tritt Roeder von hinten an Bonhoeffer heran, um ihm seinen unabwendbaren Tod als absolute Niederlage und als Ende zu suggerieren. Die Bilder der Versuchung Jesu durch den Teufel stellen sich nahezu unausweichlich ein.

Obwohl, um wieder die historischen Fakten ins Spiel zu bringen, Roeder zu diesem Zeitpunkt längst von seinem Posten abgesetzt und an die Front geschickt worden war. Als Vertreter der Anklage hatte beim Standgericht in Flossenbürg, das das Todesurteil und seine sofortige Vollstreckung beschloss, SS-Standartenführer Huppenkothen mitgewirkt. Der aber taucht im Film nicht auf.

Wahr oder unwahr?

So kann man fortfahren, anhand der uns bekannten biographischen Fakten, die einzelnen Szenen und Details des Films zu untersuchen, und wird eine nahezu endlose Liste von historischen Unrichtigkeiten zusammenstellen können. Den Kenner der Biographie Bonhoeffers wird das alles, nahezu unausweichlich, ärgern.

Dabei wird man auch darauf stoßen, dass einzelne Begebenheiten, die einem zunächst unwahrscheinlich vorkommen, durchaus der damaligen Realität entsprechen. So hat die Fahrt nach Flossenbürg wirklich auf einem, ständig stotternden, Laster mit einem Holzofen stattgefunden. Und Maria von Wedemeyer hat tatsächlich ihren Verlobten im bayrischen Flossenbürg, fern von Berlin, freilich vergebens, aufzuspüren versucht.

Aber auch die historischen Unrichtigkeiten werden mit Sicherheit keineswegs versehentlich, sondern mit klarer und eindeutiger Zielsetzung in die Lebensgeschichte Bonhoeffers, so wie sie der Film erzählt, eingefügt worden sein.

Eine Grundspannung

Damit stoßen wir auf das Spannungsverhältnis von biographischer Faktizität und ihrer ästhetischen Darstellung. Im Kino haben sich das Dokumentarische und das Fiktive schon immer prekär zueinander verhalten, hat Georg Seeßlen in einem Aufsatz über die Renaissance des politischen Dokumentarfilms festgestellt (epd Film 1/2005 S. 22ff). Denn die Filmkamera behandelt eine echte und eine gespielte Geste gleich.

Darüber hinaus aber muss der Film die Frage beantworten, ob es in der Welt oder in der Geschichte, die der Film erzählt, eine Ordnung gibt oder nicht. Mit dem Abstand von der Gegenwart und dem unmittelbaren Erleben, das der Film zeigt, stellt sich unausweichlich die Frage nach dem Sinn des Geschehens, nach seiner Ordnung und nach seinem Ziel.

Eine filmische Darstellung, die einfach abfilmt, was zu sehen ist oder die nachzustellen und nachzuspielen sucht, was realiter geschehen ist, übersieht also gerade die Distanz, die wir heute zu den Dingen haben. Die absolute Notwendigkeit, sich zu dieser Geschichte zu verhalten, ist mit dieser Distanz verbunden. Methode zieht also in das Dokumentarische ein, und Methode ist immer auch  mit  Fiktion  verbunden. Die Dinge  und  die Menschen müssen ihre Geschichte preisgeben, und die liegt nie auf der Hand. Durch bloße Nachahmung ist das nie zu schaffen.

In die Darstellung der Geschichte Bonhoeffers ist also, im Film, immer schon unsere heutige Bewertung dieser Geschichte integriert. Eine filmische Darstellung der Biographie Bonhoeffers kann nicht davon absehen, dass die Geschichte des Widerstandes gegen Hitler und den Nationalsozialismus das Gesicht eines anderen Deutschland zeigt und festhält, die ihre Wurzeln in der Achtung vor der Würde jedes Menschen hat und die auch ihren wahrhaft christlichen Ursprung nicht verleugnet.

Die Vergegenwärtigung

Die Bewertung, dass der Tod der Männer und Frauen des 20. Juli 1944 und jeden Widerstandes gegen Hitler nicht ein sinnloses Ende, sondern ein verheißungsvoller Anfang, der Beginn einer anderen Geschichte ist und ein anderes Gesicht dieses Landes zeigt, muss in jede filmische Vergegenwärtigung einer Biographie aus dieser Zeit mit hinein.

Das Fiktive darf in einem auf die Historie bezogenen Film nicht das Biographische überwuchern. Wo die Fiktion zur Ideologie wird, verdrängt die soziale Bewegung, der sich die Ideologie verdankt, das Widerlager der Geschichte. Aber ohne ein Spannungsverhältnis zwischen dem Fiktiven und dem Dokumentarischen entlassen die Dinge und die Menschen nicht ihre Geschichte, die als Anforderungs-, als Besinnungs- oder Hoffnungspotential in ihnen steckt. Insofern sind die fiktiven Elemente des Bonhoeffer-Films, so sehr sie den Kenner der Biographie Bonhoeffers ärgern, im Ansatz absolut berechtigt.

Und sie dienen auch nach meinem Urteil in der Tat, die Gestalt Bonhoeffers, sein Denken und die Atmosphäre, in der sich sein Leben und der Widerstand gegen Hitler und seine Leute vollzog, im Großen und Ganzen adäquat zu beschreiben. So war es nicht, aber so ist es, könnte man sagen.

Ulrich Tukur als Dietrich Bonhoeffer

Ich will es an einer wichtigen Detailfrage noch einmal beschreiben. Eric Till besetzt die Rolle des Dietrich Bonhoeffer mit Ulrich Tukur. Wie auch später bei der Besetzung der Person Martin Luthers mit dem Publikums- und Frauenstar Joseph Fiennes, richtet Till seine ganze Aufmerksamkeit darauf, die Rolle des Titelhelden mit einem Schauspieler zu besetzen, der die Fähigkeit hat, die schwächeren Seiten eines Charakters auszuloten. Entsprechend führt er ihn in der Regie.

Einen Glaubenshelden auf seinem Lebensweg in einem Film zu verfolgen, meint Till, ist nicht nur langweilig, entspricht vielleicht einem oberflächlichen Bedürfnis der Menschen, aber korrespondiert nicht mit dem Verhältnis, das wir in der Tiefe zu den Fragen des Glaubens und des Lebens haben. So sucht Eric Till Schauspieler, die in der Lage sind, unter die Oberfläche zu dringen, die Unsicherheiten aufzuspüren und eben dort das Noble und das Eindrückliche zu finden.

Ulrich Tukur spielt einen leisen Dietrich Bonhoeffer. Einen, dessen Glaubensstärke immer wieder vom Zweifel durchsetzt ist und sich gegen den Zweifel behaupten muss. Seine unpolitische Seite wird herausgekehrt, die Hans von Dohnanyi mit massiven Mitteln erst überwinden muss. Der scheinbar unpolitische und obrigkeitstreue Pfarrer des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wird herausgestrichen. In den Verhören mit Roeder gilt deshalb konsequent die erste Frage dem Verständnis von Römer 13 und dem dort geforderten Gehorsam gegenüber der Obrigkeit.

Unsicherheit und Verletzlichkeit

Die Unsicherheit Bonhoeffers in den Verhören ist offensichtlich groß. Seine Ungeschicklichkeit gerade auch in der körperlichen Begegnung mit seiner Verlobten. Nein, das ist nicht der souveräne und unbeugsame Bonhoeffer, als der er offenbar vielen  Menschen  damals  erschienen ist. Seine Skrupel verhindern sogar seine rechtzeitige Flucht aus dem Gefängnis. Seiner Verletzlichkeit,  seiner  Gebrochenheit spüren Ulrich Tukur und Eric Till nach, vor deren Hintergrund sich die Klarheit und Unbeirrbarkeit seiner Entscheidungen und seiner Haltung umso eindrücklicher erweist.

Die Ambivalenz des Glaubens und der inneren Verfassung Bonhoeffers holen Tukur und Till heraus, wie Bonhoeffer selbst sie in seinem Gedicht "Wer bin ich?" zum Ausdruck bringt. "Sie sagen mir oft, ich träte aus meiner Zelle gelassen und heiter und fast wie ein Gutsherr aus seinem Schloss". Der Bonhoeffer-Film versucht, hinter diesen äußeren Eindruck zu schauen und die Gesamtheit der Person Dietrich Bonhoeffers zu erfassen, die das letzte Urteil auch über die Identität des Menschen Gott überlässt.

"Geschichte zerfällt in Bilder, nicht in Geschichten", soll Walter Benjamin einmal gesagt haben. Sicher beziehen sich die Bilder auf Geschichten, sonst bleiben die Bilder vage, vieldeutig und schaffen keine Zusammenhänge. Aber der Film als ein visuelles Medium ist entscheidend darauf angewiesen, dass die Geschichten so erzählt werden, dass Bilder in der Erinnerung bleiben und neue Optionen und Zusammenhänge des eigenen Lebens stiften.

Drei nachhaltige Bilder

Drei Bilder aus dem Bonhoeffer-Film von Eric Till sind mir bis heute nie aus dem Gedächtnis gegangen. Den Anfang des Films habe ich nie vergessen: Dietrich mit seinem Freund Frank Fisher, in der Amerikazeit, vierhändig am Klavier. Ausgelassen eine Melodie verjazzend, singende und spielerische Improvisation, Ausdruck der Bejahung des Lebens und der Lebensfreude.

Das zweite Bild: Dietrich Bonhoeffer vor seiner Hinrichtung, das Schattenbild Roeders hinter ihm. Bonhoeffer schaut sich nicht um, der Blick geht nach vorn. Das Ende? Nein, der Anfang des Lebens! Die nackten Füße, die die Stufen des Podests ersteigen.

Schließlich: Der Schluss des Films. Die Koinzidenz der Bilder bringt die Suche Marias nach dem Verbleib Dietrichs in Flossenbürg mit seiner Hinrichtung, die erst zwei Monate später erfolgt, zusammen. Im Moment der Hinrichtung: Der erschreckte Blick Marias zurück. Damit endet der ganze Film. In diesem Blick liegt die Aufmerksamkeit, die Erschütterung und die Hoffnung von Generationen, für die das Denken, das Leben und Sterben Dietrich Bonhoeffers eine wichtige Wegscheide des eigenen Lebens war und ist.

Wo ein Film Bilder so tief in die Seelen seiner Zuschauer hineinzusenken vermag, da muss er schon sehr konsequent und authentisch erzählt und ins Bild gebracht sein. Bei manchen Einwänden, die man auch haben kann und die ich hier nicht weiter aufgeführt habe: Einer breiteren Wirkung der Lebensgeschichte Dietrich Bonhoeffers hat der Film von Eric Till einen guten Dienst erwiesen.

 

Hans Werner Dannowski ist Theologe und Stadtsuperintendent i.R.

Aus: Themenheft "Dann musst du dazwischenspringen..." - Dietrich Bonhoeffer 1906 - 2006. ISNB 1619-4047; Zeitschrift der Gemeinsamen Arbeitsstelle für gottesdienstliche Fragen der Evangelischen Kirche in Deutschland (GAGF).