Ein Unbequemer als Kitsch-Ikone?

Der Erinnerungsrummel zum 100. Geburtstag von Dietrich Bonhoeffer bringt es ans Licht: Der couragierte Theologe ist zum modernen Heiligen avanciert. Dabei hätte der Unbequeme eine echte Auseinandersetzung verdient. Von Delf Bucher

Bonhoeffer für alle: George W.Bush zitiert den deutschen Theologen als Kronzeugen für den Irak-Krieg, Papst Benedikt setzt ihn auf die Bestenliste seiner drei Vorbilder, Freikirchliche und Friedensbewegte berufen sich auf ihn.

Für die deutsche Bonhoeffer-Forscherin Sabine Dramm ist das kein Wunder: «Dietrich Bonhoeffer wurde im Alter von 39 Jahren von den Nazis ermordet. Viel Zeit, um eine systematische Theologie auszuarbeiten, blieb ihm nicht. Aus dem hinterlassenen Steinbruch bedienen sich nun alle.»

Dennoch: Dass der US-Präsident Bonhoeffer als Mitstreiter für den Krieg am Golf reklamiert, widerstrebt ihr: «Bei Bonhoeffer, für den die pazifistische Bergpredigt von Jesus Richtschnur war, ging ein langes Ringen voraus, bis er die Ermordung Hitlers bejahte.»

Der V-Mann Gottes

Sabine Dramm hat Bonhoeffers Weg vom öffentlichen Protest gegen das Naziregime zum heimlischen Widerstand, vom Pazifismus zur Verschwörung in ihrem Buch «V-Mann Gottes und der Abwehr»* nachgezeichnet. Drei Mal führte ihn seine konspirative Tätigkeit in die Schweiz. Seine Mission: Willem A.Visser 't Hooft zu kontaktieren, der in Genf das Büro des im Aufbau befindlichen Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) leitete und zur Drehscheibe des europäischen Widerstands ausbaute.

Via Genf sollte der anglikanische Bischof George Bell über die konkreten Umsturzpläne des nationalkonservativen Widerstands informiert werden. Bell seinerseits sollte auf die britische Regierung einwirken, um dem deutschen Widerstand nach einem Attentat eine militärische Verschnaufpause einzuräumen.

Bonhoeffer - der Konservative

Sabine Dramm arbeitet nun heraus, dass der so fortschrittliche Theologe Bonhoeffer im politischen Bereich ein durchaus der Grossbürgerwelt seiner Herkunft verhafteter Konservativer geblieben ist. Selbst die Gefahr des Panslawismus beschwor Bonhoeffer gegenüber Visser 't Hooft.

Als er 1941 darüber mit Karl Barth diskutierte, schüttelte der Basler Theologe den Kopf. Er lehnte sowohl die Strategie des Tyrannenmords als auch die Idee ab, der Neuanfang Deutschlands sollte von der diskreditierten Militärkaste ausgehen. Bonhoeffer ein nationalkonservativer Patriot und Kommunistenhasser? Keineswegs. Aber Dramm will Bonhoeffer nicht in einem faltenlosen Heldenkostüm präsentieren, sondern auf die Widersprüche aufmerksam machen.

Dass er letztendlich gerade als gläubiger Mensch von der tiefen Verstrickung und Barbarei seines eigenen Volkes überzeugt war, zeigt ein Abend in Genf. Einer der Gäste fragte ihn: «Wie beten Sie?» Bonhoeffers kompromisslose Antwort: «Da Sie mich fragen, gestehe ich, dass ich für die Niederlage meines Vaterlandes bete. Nur durch eine Niederlage können wir Sühne leisten für die furchtbaren Verbrechen, die wir gegen Europa und die Welt begangen haben.»

Dem geheimdienstlichen Weg via ÖRK ist indes kein Erfolg beschieden. Überhaupt schlagen alle Versuche, Putsch und Tyrannenmord zu organisieren, fehl. Hier ist es dann an Bonhoeffer, in seinem eigenen Umfeld seelsorgerisch zu wirken und der fatalistischen Niedergeschlagenheit mit Gottvertrauen zu begegnen.

Kitschanfällig

Gottvertrauen: Das ist denn auch das Stichwort, das Durchschnittsreformierten zu Bonhoeffer rasch in den Sinn kommt. Beinahe hymnisch hat er seine Zuversicht im Gedicht «Von guten Mächten wunderbar geborgen» zum Ausdruck gebracht, das auch Eingang ins Gesangsbuch der Reformierten und Katholiken gefunden hat.

Für Wolfgang Lienemann, Ethikprofessor an der Universität Bern, ein problematisches Erbe, das den Blick auf Bonhoeffer verstelle: «Man sollte das Lied zwanzig Jahre aus dem Verkehr ziehen. Es ist zu kitschanfällig und kann schnell zu ganz falschen Deutungen und Haltungen führen.» Vor allem fürchtet Lienemann, dass das Lied vorab zur Erbauung einer bloss «inneren Frömmigkeit» missbraucht und dabei der brutale Kontext seiner Entstehung im Berliner Gefängnis ausgeblendet werde.

Dagegen stehe Bonhoeffers Aufforderung, sich in die Angelegenheiten der «Welt» einzumischen. «Das völlig verbogene und politisch weithin stillgelegte Luthertum in Bonhoeffers Zeit hat sich, wie es Thomas Mann zutreffend formuliert hat, meist mit einer "machtgestützten Innerlichkeit" begnügt», sagt Lienemann.

Provozierende Aktualität

Einer Kirche, die apolitisch ist und die schwersten Herausforderungen der Zeit ignoriert, stellt er Bonhoeffers Postulat der «teuren Gnade» gegenüber: «Christlicher Glaube bewährt sich im konkreten Bekennen und notfalls Widerstehen - und zwar nicht individuell, sondern in Gemeinschaft», so der Berner Theologieprofessor. Für Lienemann besitzt Bonhoeffer bis heute eine provozierende Aktualität, gerade für die Kirchen: «Die Betonung des Gemeinschaftscharakters des Glaubens von Bonhoeffer ist eine Herausforderung für die modernen Volkskirchen.

Man hat schliesslich den Eindruck, dass diese vor dem Status quo einer säkularisierten Öffentlichkeit kapitulieren und bereit sind, das Privatchristentum ihrer Mitglieder kritiklos zu akzeptieren.» Lienemann sieht dagegen «kleine Aktivitätszentren» wie die christlichen Friedensdienste, Schalomgemeinschaften und katholische, evangelische oder - wie Taizé - ökumenischen Kommunitäten, die experimentell etwas vom Geist Bonhoeffers ins 21.Jahrhundert gerettet haben. Ansonsten sei Bonhoeffers religiöse Christentumskritik «einstweilen nicht angekommen».

 

Delf Bucher, aus: Saemann 2/06.

*Sabine Dramm: «V-Mann Gottes und der Abwehr», Güterlog 2005