Der verfemte Botschafter
In der Not des Krieges hatte sich Dietrich Bonhoeffer dem deutschen Widerstand angeschlossen, dessen Ziel es war, den Tyrannen Adolf Hitler zu ermorden. Aber alle Attentatspläne schlugen fehl. Und die Verschwörungen flogen auf. Die aktiven Widerstandskämpfer und ihr ganzer Freundeskreis wurden hingerichtet, insgesamt über 5000 Personen. Dietrich Bonhoeffer blieb zwar vorerst verschont.
Als dann aber die Belege für sein Mitwirken handfest waren, befahl Adolf Hitler höchstpersönlich – vier Wochen vor dem Ende des Krieges – seine sofortige Hinrichtung. In der Nacht auf den 9. April 1945 gab es ein standgerichtliches Verfahren, das allerdings eine Farce war, denn das Urteil stand zum vornherein fest.
Ein Märtyer als «Staatsfeind»
Im Morgengrauen wird Bonhoeffer zusammen mit seinen Mitverschwörern zur Hinrichtung in den Hof des Gefängnisses von Flossenbürg gebracht. Dann müssen sich Bonhoeffer und die anderen Verurteilten nackt ausziehen und eine Treppe besteigen. Dann folgt der Strick um den Hals. Und die Treppe wird weggezogen… Bonhoeffers letzten überlieferten Worte sind: «Dies ist das Ende, für mich der Beginn des Lebens.»
Nach dem Krieg wurde der Verschwörer Bonhoeffer – auch in der Kirche – noch lange als «Verräter» betrachtet. Es hiess, die Kirche könne die damalige Verschwörung gegen Hitler niemals gutheissen. In einer Denkschrift der Hannoverschen Landeskirche von 1946 wurde etwa festgehalten: «Wir glauben, dass es der Lehre der Heiligen Schrift entspricht, wenn die Kirche dem Gericht Gottes, das die Tyrannen der Welt noch immer zur rechten Zeit ereilt hat, nicht vorgreift.»
Im April 1953 sollte im Rahmen einer Feier in der Kirche von Flossenbürg eine Gedenktafel mit der Inschrift «Dietrich Bonhoeffer – ein Zeuge Jesu Christi unter seinen Brüdern» eingeweiht werden. Doch der bayrische Landesbischof Meiser weigerte sich, an diesem Gedenkgottesdienst teilzunehmen, da Bonhoeffer kein christlicher, sondern ein politischer Märtyrer gewesen sei.
Jede Obrigkeit von Gott?
Das im lutherischen Protestantismus tief verankerte Obrigkeitsdenken wirkte noch lange nach. Dabei bezog man sich auf Römer 13, 1 («Denn es ist keine Obrigkeit ausser von Gott») und bezeichnete das Dritte Reich als eine zwar entstellte Ordnung, die aber trotz aller Entstellung als Ordnung Gottes angesehen werden müsse, der man Gehorsam geschuldet habe.
Erst spät, beim sogenannten «Remer-Prozess», erinnerte man sich an Luthers Frage, ob es denn erlaubt sei, einen Tyrannen zu töten. Luthers Antwort war einst klipp und klar: «Wenn er einem sein Weib, dem anderen die Tochter, dem Dritten sein Feld und Gut und noch einem anderen sein Haus und Besitz wegnähme, und die Bürger könnten seine Gewalt und Schreckensherrschaft nicht länger ertragen und sie verschwörten sich untereinander, dann dürfen sie ihn umbringen.»
Einsamer, freier Entscheid zum Widerstand
Bonhoeffer hatte sich den Entscheid, bei der Verschwörung gegen Hitler mitzumachen, nicht leicht gemacht. Er, der überzeugte Pazifist, hat lange mit sich gerungen. Denn er hat gewusst, dass jeder Mord, auch ein Tyrannenmord, mit Schuld behaftet ist. Doch er war bereit, diese Schuld auf sich zu laden. Es ist beeindruckend, dass Bonhoeffer seinen Entscheid nie zu rechtfertigen versuchte. Er ging davon aus, dass er diesen einsamen und zugleich freien Entscheid einzig vor sich selber und vor Gott zu verantworten habe. Vor sich selber sprach ihn sein Gewissen frei; vor Gott aber hoffte er allein auf Gnade.
Erst 1998 rehabilitiert
Die deutsche Justiz allerdings mass noch lange nach dem Krieg mit ganz anderen Ellen. Noch 1956 hielt der «entnazifizierte» Deutsche Bundesgerichtshof fest, dass das damalige Todesurteil gegen Bonhoeffer rechtens gewesen sei! Erst in den 90er Jahren, als Bürgerrechtler am Bundesgerichtshof eine Gedenktafel für Bonhoeffer installieren wollten, kam die Diskussion wieder in Gang. 1998 wurde Bonhoeffer dann endlich rehabilitiert.
2002 hielt Prof. Günter Hirsch, Präsident des Bundesgerichtshofes, schliesslich in einer historischen Rede eindringlich fest: «Für das Urteil des Bundesgerichtshofes von 1956, an dem im Übrigen ein Richter mitgewirkt hat, der im Dritten Reich Beisitzer eines Sondergerichts und später Oberkriegsgerichtsrat war, muss man sich schämen. Die Folgen dieses Urteils waren verheerend. (…) Kaum ein Richter oder Staatsanwalt wurde in der Bundesrepublik wegen der tausendfachen Justizverbrechen im Dritten Reich verurteilt. Dieses Versagen der Nachkriegsjustiz ist ein dunkles Kapitel in der deutschen Justizgeschichte und wird dies bleiben.»
Verneigung und Lehre
Günter Hirsch verneigte sich am Ende seiner Rede im Namen aller Richterinnen und Richter des Bundesgerichtshofs vor den Widerstandskämpfern Hans von Dohnanyi, Dietrich Bonhoeffer und vor allen, die Opfer der Justiz wurden. Und er bedankte sich bei den anwesenden Angehörigen der Familien von Dohnanyi, Bonhoeffer und Goerdeler: Sie hätten mit ihrer Anwesenheit dem Bundesgerichtshof hohe Ehre erwiesen.
Heute ist sich auch die Kirche bewusst, dass die Obrigkeitspflicht nie absolut gesetzt werden darf. Aus theologisch-ethischer Sicht endet die Obrigkeitspflicht spätestens da, wo man mit einem mörderischen Regime konfrontiert ist. Ja, diese Pflicht zum Gehorsam endet da nicht nur, sie schlägt vielmehr um in die Pflicht, zu widerstehen.
Philippe Dätwyler, Original aus: Notabene 5/05